Neuer EU-Gesundheitskommissar: gewachsener Einfluss auf Arzneimittel

Die Anhörungen des Europäischen Parlaments zur zweiten Barroso­Kommission sollten eigentlich am 26. Januar 2010 beendet sein. Aufgrund des erzwungenen Rückzugs der designierten Kommissarin für Humanitäre Hilfe und Krisenschutz, der bulgarischen Außenministerin Rumjana Schelewa, und der Neubenennung von Kristalina Georgiewa, Vizepräsidentin der Weltbank, ist nun der 9. Februar 2010 für die Schlussabstimmung vorgesehen. Rund 400 der 736 Stimmen des Parlaments braucht das komplette Kollegium dann, um für fünf Jahre ins Amt gehoben zu werden. Zwar führte der Rückzug der konservativen Kandidatin zunächst zu heftigem parteipolitischen Gerangel nach dem Motto „Wirfst du meinem Kandidaten Inkompetenz vor, tue ich das gleiche mit deinem Kandidaten“, um den „Inkompetenzproporz“ (Martin Schulz, MEP) wieder herzustellen. Doch hat das Europäische Parlament mit dem Erzwingen des Kandidatenwechsels einmal mehr die Muskeln spielen lassen und gezeigt, dass es – über die Grenzen nationaler Bindungen hinaus – in der Lage ist, seine mit dem Lissabonner Vertrag weiter gewachsenen Befugnisse gegen die Kuhhandel der Regierungen eigenständig zu behaupten.

Kompetenz­zuwachs in der Arzneimittelpolitik

Der Kandidat für das Ressort Gesundheit und Verbraucherpolitik, der bisherige maltesische Sozialminister John Dalli, stand zu keinem Zeitpunkt in der Gefahr, die Anhörung nicht erfolgreich zu überstehen. Mit der Zuweisung der Zuständigkeit für die Arzneimittelpolitik sind seine Einflussmöglichkeiten gegenüber denen seiner Vorgänger erheblich angewachsen. In der Anhörung vor dem Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) legte er den Beweis dafür ab, dass er dieser Aufgabe gewachsen ist. Dabei waren seine schriftlichen Antworten auf die Fragen des Parlaments noch relativ allgemein gehalten und hielten sich an die strikten Ermahnungen des Kommissionspräsidenten an seine Mannschaft zu Zurückhaltung. So kündigt Dalli an, einen Beitrag zu Barrosos übergeordneten Zielen der Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zum Nutzen der europäischen Bürgerinnen und Bürger leisten zu wollen. In einer Zeit wirtschaftlicher und sozialer Krisen müsse der Vorrang des Gesundheitswesens unbedingt bewahrt werden. Die Nachhaltigkeit und die Zugänglichkeit der Gesundheitsleistungen seien weiterhin die größten Herausforderungen, vor denen das Gesundheitswesen angesichts des raschen demografischen Wandels stehe. Diese Herausforderungen beträfen die Union als Ganzes und seien zu einer Zeit wirtschaftlichen Abschwungs mit steigendem Druck auf die nationalen Haushalte von besonderer Bedeutung.

Integration des pharmazeutischen Sektors

Als eine seiner Prioritäten bezeichnete es Dalli, im Rahmen der Zuständigkeit der Kommission zur Entwicklung effektiver und effizienter Systeme der gesundheitlichen Versorgung in allen Mitgliedstaaten beizutragen, damit die Menschen länger und gesünder leben. Ein weiterer Schwerpunkt liege darauf, Maßnahmen zur Krankheitsprävention zu treffen sowie den Patienten in der gesamten EU bezahlbare, sichere und wirksame Arzneimittel zur Verfügung zu stellen. Zur Integration des pharmazeutischen Sektors in den Bereich der öffentlichen Gesundheit erklärte Dalli, dies erfordere sorgfältiges Management, und er freue sich auf diese Herausforderung: „Wir müssen uns bemühen, diesen Sektor durch Innovation und die Förderung seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit wieder zu stärken. Dies steht zum vorrangigen Prinzip der Patientensicherheit nicht im Widerspruch. All diese Bereiche bergen ein hohes Potenzial für die Erzielung beträchtlicher gesundheitlicher, aber auch wirtschaftlicher Vorteile und für die Sicherstellung der Nachhaltigkeit unserer Gesundheitssysteme in der Zukunft.“

Auf spezifische legislative und nichtlegislative Initiativen angesprochen verwies der designierte Gesundheitskommissar auf eine Reihe laufender Gesetzgebungsverfahren, wie die Vorschläge zur grenzübergreifenden Gesundheitsversorgung und zum so genannten Pharmapaket, die er in Zusammenarbeit mit dem Parlament fortführen wolle. Er werde ferner die Vervollständigung von Rechtsetzungsvorschlägen anstreben, wie die die Überprüfung der Vorschriften für Tierarzneimittel, Medizinprodukte und klinische Versuche. Ob auch bei der zentralen Arzneimittelzulassung weiterer Handlungsbedarf bestehe und man neue Arzneimittel noch schneller und kostengünstiger in Verkehr bringen könne, machte er von dem anstehenden Bewertungsbericht über die Arbeitsweise der Europäischen Arzneimittelagentur ab, dem er mit großem Interesse entgegensehe.

Diskussionsbedarf bei Patienteninformationen

Deutlicher wurde Dalli in seinem Eingangsstatement vor dem Ausschuss. Er sprach sich dafür aus, die Richtlinien aus dem Pharmapaket, die sich auf Arzneimittelfälschungen und Pharmakovigilanz beziehen, möglichst rasch zu verabschieden. Dagegen sei bezüglich der Information für die Patienten noch erheblicher Diskussionsbedarf gegeben: „Wir glauben, dass Patienten Zugang zu Informationen über verschreibungspflichtige Medikamente haben sollten, die auf dem Markt sind“, erklärte Dalli. Die Einbeziehung der Arzneimittel in das Gesundheitsportfolio schaffe die Möglichkeit, den auf dem Tisch liegenden Vorschlag zu überdenken und eine stärkere Patientenperspektive zu einzuführen. Die neuen Synergien, die durch die Einbeziehung der Arzneimittel und Medizinprodukte in das Gesundheits­Portfolio geschaffen wurden, könnte auch die patientenzentrierte Forschung und Innovation neu motivieren und so dazu beitragen, neue Technologie zu erschwinglichen Kosten für den Patienten und/oder die Gesundheitssysteme in ganz Europa auf den Markt bringen. Dalli betonte die Schlüsselfunktion des Zugangs aller europäischen Bürger zu guter und zeitnaher Behandlung und zu erschwinglichen Arzneimitteln unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem sozioökonomischen Status. Zusammen mit der spanischen Präsidentschaft, dem Rat und dem Parlament werde er deshalb auch eine Lösung für die Rechte der Patienten in der grenzüberschreitenden Versorgung ausarbeiten.

Strikte Trennung zwischen Information und Werbung

Vollends sichtbar wurden Format und gesundheitspolitische Grundhaltung des designierten Kommissars jedoch erst in der dreistündigen Fragenrunde, in dem die Ausschussmitglieder zum Teil sehr kritische Fragen aus den Bereichen Verbraucher­ und Gesundheitsschutz stellten. Als der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) die angekündigte Unterstützung unabhängiger Patientengruppen aus dem Health Action Programme unter Verweis auf die knappen Mittel hinterfragte, machte Dalli deutlich, dass es ihm auf die Unabhängigkeit solcher Gruppen ankomme. Es gehe ihm darum, ein Finanzierungssystem zu entwickeln, das sicherstelle, dass die Mittel, die in diese Patientengruppen gehen, nicht direkt von der Industrie kämen. Angesichts der Haushaltsrestriktionen sei er für die Anregungen der Abgeordneten dankbar. Zahlreiche Fragen bezogen sich – wie zu erwarten – auf die Information der Patienten über Arzneimittel. Der designierte Gesundheitskommissar wiederholte, dass die Abspaltung dieses Gesetzgebungsverfahrens vom übrigen Pharmapaket nicht bedeute, dass dieses Thema auf die lange Bank geschoben werde. Es gehe ihm darum, im Dialog mit den Abgeordneten ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Patienten und den Interessen der Pharmaindustrie herzustellen. Zwar würden sich die Unterstützung der Pharmaindustrie und die Patientensicherheit nicht gegenseitig ausschließen. Doch das Wohl der Patienten stehe für ihn an erster Stelle, auch wenn dieses von einer starken wettbewerbsfähigen pharmazeutischen Industrie abhänge. Auf die Frage, warum er dann überhaupt eine Überprüfung des Richtlinienentwurfes befürworte, präzisierte er seine Vorstellungen dahingehend, dass er für eine striktere Abgrenzung zwischen Information und Werbung eintreten werde. Man dürfe nicht riskieren, dass Patienten, die durch eine Erkrankung in einer besonders verletzlichen Situation sind, zum Kauf von Produkten gedrängt würden, die nicht gut für sie seien. Deshalb müsse man in dieser Angelegenheit sehr vorsichtig sein. Er werde darauf bestehen, dass eine sehr strikte Abgrenzungslinie zwischen Information und Werbung gezogen werde. Auch müsse man stärker aus Patientenperspektive klären, welche Informationen der Patient zu welchem Zeitpunkt brauche. Er persönlich wolle eine Situation vermeiden, in der Patienten Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen, ohne professionelle Beratungen in Anspruch zu nehmen. Da dies sehr gefährlich sein könne, wolle er die Frage der Patienteninformationen im Detail mit den EU­Parlamentariern diskutieren. Im Übrigen sei er es aufgrund seiner langjährigen Regierungstätigkeit gewohnt, dass man sich mit jeder Politik neue Feinde machen könne. Er habe genügend Standvermögen, um auch gegen den Widerstand aus den Regierungen der Mitgliedstaaten oder der Interessengruppen auf dem richtigen Weg zu bleiben. Damit klang er so verantwortungsvoll und zugleich pragmatisch, dass vielen Abgeordneten und Beobachtern eine Lösung dieser seit fast acht Jahren diskutierten Frage näher als je zuvor schien. Ernüchterung stellt sich jedoch ein, wenn man hört, dass die spanische Präsidentschaft keine Ambitionen hat, diesen Entwurf voranzutreiben. Spanien, wie auch andere Mitgliedstaaten, sind der Auffassung, dass Informationen über Arzneimittel den Patienten durch den Filter eines Heilberuflers und nicht direkt von der pharmazeutischen Industrie erreichen sollten.

Gegen Arzneimittelfälschung und Ferntherapien

Zum Kampf gegen die Arzneimittelfälschungen befragt, erklärte Dalli, dass er Arzneimittelfälschungen für einen gefährlichen Anschlag auf die Konsumenten, aber auch auf die Innovationskraft der europäischen Industrie halte. Er werde dafür sorgen, dass die in der physischen „Offline­Welt“ geltenden Regeln, Maßstäbe und Kontrollen auch in der virtuellen „Online­Welt“ durchgesetzt würden. Weitere Sympathien auch bei den kritischen Abgeordneten erwarb sich der Kommissarsanwärter, als er auf die Frage der bulgarischen Abgeordneten Antonyia Parvanova, die neben der organisierten Internetkriminalität auch auf andere Gefahrenquellen für die Patientensicherheit wie Arzneimittelversand und Ferntherapien hinwies, bekannte, dass er sowohl gegen das organisierte Verbrechen als auch gegen das Vorhaben zu kämpfen gedenke, medizinische Beratung über große Entfernungen zu erteilen. Aber, so räumte er anschließend gleich ein, das sei eine Frage, in der er sehr eng mit seinen Kommissarskollegen zusammenarbeiten müsse. Da wird also nicht nur die für eHealth zuständige Kommissarin für die Digitale Agenda, die bisherige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes,
noch ein Wörtchen mitzureden haben.

Legaldefinition für Fälschungen

Unterdessen sind die Arbeiten an den Teilen des Pharmapakets weiter vorangeschritten, die sich auf Arzneimittelfälschungen und Arzneimittelüberwachung beziehen. Die spanische Präsidentschaft treibt diese Gesetzgebungsverfahren voran und inzwischen liegen für zwei Richtlinienentwürfe erste Entwürfe der Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Ausschussberichte vor. Nach Vorlage eines Berichtsentwurfs zur Pharmakovigilanz­Richtlinie durch die britische Berichterstatterin Linda McAvan am 17. Dezember 2009 legte am 7. Januar 2010 die portugiesische Europaabgeordnete Marisa Matias einen Berichtsentwurf über die Richtlinie zur „Verhinderung des Eindringens von Arzneimitteln, die in Bezug auf ihre Eigenschaften, Herstellung oder Herkunft gefälscht sind, in die legale Lieferkette“ vor. Beide Richtlinien sollen den grundlegenden Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (2001/83/EG) ändern und wurden 2008 von der Kommission auf der Grundlage des Arzneimittelforums, von Anhörungen der Verkehrskreise und von Konsultationen mit der WHO vorgeschlagen. Der Entwurf des Ausschussberichts zur Fälschungsrichtlinie enthält 50 Änderungsanträge, von denen sich allein 14 auf die Erwägungsgründe beziehen. Bemerkenswert ist, dass der Ausschussbericht – entgegen der bisherigen Praxis der Kommission – nicht nur das Binnenmarktziel, sondern auch die Unionszuständigkeit für die Sicherstellung des Gesundheitsschutzes auf hohem Niveau als Ermächtigungsgrundlage für die Richtline heranziehen will. Die doppelte Rechtsgrundlage ist ein spätes Tribut an das Tabakwerbeurteil des Europäischen Gerichtshofs. Neu ist gegenüber dem Kommissionsentwurf aber vor allem der Versuch, nun auch unionsrechtlich eine eindeutige Legaldefinition für Fälschungen zu etablieren, die Verstöße gegen die Vorschriften über die Rechte an geistigem Eigentum und die gewerblichen Schutzrechte oder Patentrechte ausdrücklich unberührt lässt. Danach sind gefälschte Arzneimittel alle Arzneimittel, bei denen ihre Eigenschaften, einschließlich Verpackung, Kennzeichnung, Name sowie Zusammensetzung ihrer Bestandteile und ihres Gehalts, und/oder ihre Herkunft, einschließlich Hersteller, Herstellungsland, Herkunftsland und Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen, und/oder ihre Herstellung, einschließlich der Verzeichnisse und Dokumente in Bezug auf die Lieferkette gefälscht wurde. Ob diese Definition bereits der Weisheit letzter Schluss ist, sei angesichts des Vergleichs mit der englischen Fassung, in der stattdessen von Arzneimitteln „with a false representation of“ die Rede ist, dahingestellt. Doch ist der Versuch einer unionweit einheitlichen Definition allemal begrüßenswert, werden über die Abgrenzung im Einzelfall doch ohnehin die Gerichte und schließlich der EuGH zu entscheiden haben.

Unterscheidung zwischen Händlern und Vermittlern

Auch im Hinblick auf die Akteure der Lieferkette für Arzneimittel versucht der Ausschussbericht für mehr Klarheit zu sorgen und ihre Rolle und Verantwortlichkeiten präziser abzugrenzen. Die Berichterstatterin begründet dies damit, dass unbedingt unterschieden werden müsse zwischen Akteuren, die bereits über eine formale Zulassung verfügen und der Haftungspflicht unterliegen, und Akteuren, die nicht unter diese Kategorie fallen, obgleich für sie die Haftung innerhalb der Lieferkette relevant ist. Deshalb müsse auch zwischen Händlern und Vermittlern unterschieden werden, auch um Klarheit bezüglich ihrer Rollen und Verantwortlichkeiten zu schaffen. Dies gelte auch für andere Akteure wie Lieferanten oder Parallelhändler. So definiert der Ausschussbericht „Vermittlungstätigkeit“ (englisch „Brokering“) als sämtliche Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit den An­ oder Verkauf von Arzneimitteln, Arzneimittelwirkstoffen oder Trägerstoffen stehen – mit Ausnahme des Einzelhandels und des Großhandelsvertriebs nach der Definition der Richtlinie –, die nicht die physische Tätigkeit an sich umfassen, sondern in der Vermittlung bestehen, wobei diese eigenständig oder im Auftrag einer anderen juristischen oder natürlichen Person erfolgen kann. Etwas unentschieden ist der Umgang der Berichterstatterin mit den fälschungserschwerenden Sicherheitsmerkmalen. Einerseits soll das Anbringen von Sicherheitsmerkmalen auf verschreibungspflichtigen Arzneimitteln künftig obligatorisch sein, weil verschreibungspflichtige Arzneimittel für Patienten eine größere Gefahr darstellen, wenn sie gefälscht sind oder unsachgemäß eingenommen werden, als nicht verschreibungspflichtige. Andererseits soll dies für verschreibungspflichtige Generika nicht generell gelten, sondern für bestimmte Generika oder Generikakategorien soll es auf der Grundlage der Ergebnisse einer Risikobewertung möglich sein, auf die Anforderungskriterien für die Sicherheitsmerkmale zu verzichten. Zur Begründung wird die Vermutung angestellt, dass Arzneimittel nur dann gefälscht werden dürften, wenn dies wirtschaftlich einträglich ist. Bei der Fälschung von Generika ließen sich jedoch aufgrund der niedrigeren Herstellungskosten in dieser Arzneimittelkategorie geringere Gewinne erzielen. Honi soit qui mal y pense.

Gefahren des Versandhandels mit Arzneimitteln geraten ins Blickfeld

Großes Augenmerk legt der Berichtsentwurf schließlich auf den Internethandel, der im Kommissionsentwurf ausdrücklich ausgeklammert war. Noch im Juni 2009 hatte der damals zuständige EU­Kommissar Günter Verheugen auf die schriftliche Anfrage des deutschen Abgeordneten Jorgo Chatzimarkakis (FDP) geantwortet, den Mitgliedstaaten sei es freigestellt, ob sie zulassen, dass rezeptpflichtige Arzneimittel im Fernabsatz über das Internet an den Verbraucher abgegeben werden. Die Mitgliedstaaten seien dabei unterschiedliche Wege gegangen. Viele hätten sich dafür entschieden, diese Praxis ganz und gar zu untersagen, während andere sie unter bestimmten Auflagen gestatten. Daher wäre ein gemeinschaftsweit einheitliches Vorgehen bei einer „Zertifizierung“ von „legalen“ Internetseiten gar nicht möglich. Dem hält der Bericht entgegen, hierbei werde nicht beachtet, dass das Internet einer der Hauptwege sei, über den gefälschte Arzneimittel auf den europäischen Markt gelangen. Deshalb seien Bestimmungen in den Berichtsentwurf aufgenommen worden, die sich auf dieses wichtige Thema beziehen. Es sollten zum einen Informationsprogramme aufgelegt werden, mit denen die Verbraucher über die Existenz gefälschter Arzneimittel aufgeklärt und für die Gefahren sensibilisiert werden, die vom Kauf von Arzneimitteln über illegale Kanäle ausgehen. Zum anderen müsse dafür gesorgt werden, dass die Patienten Websites erkennen können, die mit den einschlägigen Vorschriften in Einklang stehen. Es sei der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, dass eine Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen nicht das Thema Internet behandelt, d. h. den wichtigsten Verkaufskanal. Die Lösung dieses Problems sei eines der Hauptanliegen des Berichtsentwurfs. Die hierzu vorgeschlagenen detaillierten Vorschläge übertragen sowohl der Kommission als auch den Mitgliedstaaten zahlreiche neue Pflichten und Aufgaben, und gehen damit weit über den ursprünglichen Richtlinienentwurf hinaus.

Differenzierter Berichtsentwurf

Der Berichtsentwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er sich bemüht, trotz der komplexen Interessenskonflikte, die mit diesem Thema verbunden sind, eine differenzierte Lösung zu suchen. Die Berichterstatterin schildert in ihren abschließenden Bemerkungen dezent aber eindrucksvoll, welchen interessegeleiteten Vorschlägen sie sich bei ihren Regelungsvorschlägen zugunsten einer ausgewogenen Regelung entzogen hat, die sowohl die Interessen der Patienten und Hersteller schützt, als auch für die übrigen Betroffenen, wie z. B. Kostenträger, Parallelimporteure und Großhändler tragbar ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieser Berichtsentwurf im Parlament keineswegs unumstritten ist. Das gilt ebenso für den Berichtsentwurf zur Pharmakovigilanz­Richtlinie, bei der die Kompetenzen des neu vorgesehenen Beratenden Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee – PRAC), die Rolle der Mitgliedstaaten und der Pharmaunternehmen im Pharmakovigilanzsystem der EU und der Widerspruch zwischen der „Black­BoxWarnung“ für neue Arzneimittel und der Patienen­Complience für Konfliktstoff sorgen. Nur noch kurz haben die Abgeordneten nun Zeit, eigene Änderungsvorschläge einzubringen, damit der Ausschuss im April seinen endgültigen Bericht verabschieden kann. Das Plenum des Europäischen Parlaments könnte dann im Mai entscheiden.

*) Der Originalartikel erschien als „Blick nach Brüssel“ in der Arzneimittel & Recht (A&R) Nr. 1/2010, S. 30. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft.