Schlagwort: Unionsrecht



Kritische Analyse des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes

A&R 2020, 147-165Den Regierungsentwurf zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz habe ich zusammen mit Elmar Mand analysiert. Unser Ergebnis: Das Gesetz besiegelt eine existenzielle Schwächung der deutschen Apotheken, die vom OLG Düsseldorf initiiert und von EuGH aufgrund unzureichender Nachweise bestätigt wurde: die Außerkraftsetzung des einheitlichen Apothekenabgabepreises für Versandapotheken aus anderen EU-Staaten. Unsere Analyse des Gesetzentwurfes erscheint heute in der Arzneimittel&Recht (A&R 2020, S. 147 – 165) und ist vorübergehend hier verfügbar. Kritische Analyse des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes weiterlesen

Arzneimittelpreisrecht und Krankenversicherungsrecht sind schon heute untrennbar miteinander verknüpft

Verknüpfung von Arzneimittelpreisrecht und Krankenversicherungsrecht

In der ersten Fassung des Eckpunktepapiers des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Titel „Stärkung der flächendeckenden Versorgung – Weiterentwicklung der Apotheken – Sicherung der freien Apothekenwahl“ vom 11.12.2018 wurde die „Einbindung der AMPreisV in § 129 SGB V“ mit der „Stärkung des sozialen Charakters der Preisbindung“ begründet. Weiter heißt es dort: „Sofern [eine] erneute EuGH-Befassung erfolgt, könnte dadurch [der] Fokus verstärkt auf die mitgliedstaatliche Kompetenz zur Ausgestaltung seines Gesundheitssystems gelegt werden (Art. 168 Abs. 7 AEUV)„.

Wenn diese Ankündigung ernst gemeint ist, also wenn sie bedeutet, dass die Inländerdiskriminierung der deutschen Apotheken nach dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 20161 – statt durch das im Koalitionsvertrag vom März 2018 vereinbarte Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel – nun durch eine erneute Befassung des EuGH mit dem einheitlichen Apothekenabgabepreis auch für Versandapotheken aus anderen EU-Staaten ausgeräumt werden soll, ist klar was geschehen muss.

Der BGH hat die Voraussetzungen einer erneuten Befassung in seinem Urteil vom 24. November 20162 wie folgt gefasst: Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 angenommen, ein nationales Gericht muss, wenn es eine nationale Regelung darauf prüft, ob sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt ist, mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objek-tiv prüfen, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken. Nach der Rechtsprechung des EuGH3. haben die nationalen Behörden darzutun, ob eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs gerechtfertigt ist und dass sie erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und dass sich das angestrebte Ziel nicht durch Verbote oder Beschränkungen erreichen ließe, die weniger weit gehen oder den Handel innerhalb der Union weniger beeinträchtigen würden. Insoweit müssen die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, von geeigneten Beweisen oder einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen beschränkenden Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein. Diese Beweislast darf allerdings nicht so weit gehen, dass die nationalen Behörden, wenn sie eine nationale Regelung, mit der eine Maßnahme vorgegeben wird, positiv belegen müssten, dass sich dieses Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen ließe.

Alle Argumente dafür sind auf dem Tisch: Der einheitliche Apothekenabgabepreis als Teil des Preisbildungssystems schafft durch die auf die einzelne Packung bezogene Preisregelung die wirtschaftliche Grundlage für die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch pharmazeutische Unternehmer, Großhändler und Apotheken rund um die Uhr, mit dem vollen Sortiment an verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, unabhängig von der Häufigkeit ihrer Verschreibung und dem Wohnort des Patienten, einschließlich eines hohen Generikaanteils und selten gebraucher Mediamente, bei intensivem Preiswettbewerb auf Hersteller- und Großhandelsebene. Dieses Preissystem bildet die regulatorische Grundlage für die Arzneimittelversorgung der gesetzlich Versicherten und ist untrennbar damit verwoben – von der Patientenzuzahlung über die Festbeträge, die ärztlichen Arzneimittelrichtlinien und Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die Generika- und Importsubstitution und die Apotheken- und Herstellerabschläge bis hin zu den Rabattverträgen und dem AMNOG-Verfahren zur Nutzenbewertung und Vereinbarung von Erstattungsbeträgen.

Es ist daher nicht nachvollziehbar, wieso die Bundesregierung bis heute nicht die amtliche Auskunft geliefert hat, um die das OLG München bereits im Februar 2018 ersucht hat. Dieses Ersuchen folgt den Hinweisen des Bundesgerichtshofs, der in einem Urteil vom 24. November 2016 4 klarstellte, dass das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 „maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen“ in dem der Vorlage zugrundeliegenden Verfahren vor dem OLG Düsseldorf beruht. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese Feststellungen nachgeholt werden können, müssten die Parteien im vorliegenden Verfahren Gelegenheit erhalten, zur Geeignetheit der deutschen Regelung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung für eine flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung vorzutragen. Sollte dies in schlüssiger Weise geschehen, werde das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, ohne die sich die Geeignetheit der deutschen Regelung für das erstrebte Ziel nicht abschließend beurteilen lasse. In diesem Zusammenhang ruft der BGH in Erinnerung, dass die Union nach Art. 168 Abs. 7 Satz 1 AEUV bei ihrer Tätigkeit die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens zu wahren hat und diese Aufgabenverteilung von allen Organen der Union zu beachten ist, dass die Mitgliedstaaten zu bestimmen haben, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollen und wie dies erreicht werden soll, und dass den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zukommt. Er weist darauf hin, dass diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten von der Union nicht nur formal, sondern auch im Geist einer loyalen Zusammenarbeit zu beachten ist. Im Rahmen des weiteren Verfahrens komme in Betracht, „gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Frage der Notwendigkeit von einheitlichen Apothekenabgabepreisen für verschreibungspflichtige Arzneimittel für die Wahrung der Belange der Gesundheit der Bevölkerung eine amtliche Auskunft staatlicher Stellen, insbesondere der Bundesregierung, einzuholen“ 5 .

Umso besser, wenn das Ministerium ausweislich seines Eckpunktepapiers jetzt selbst begonnen hat, über „eine erneute EuGH-Befassung “ nachzudenken.

  1. Rs. C-148/15, GRUR 2016, 1312 = WRP 2017, 36 – Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale
  2. BGH, Urt. v. 24.11.2016 – I ZR 163/15, GRUR 2017, 635, – Freunde werben Freunde, Rn. 44f.
  3. EuGH, Urt. v. 23. Dezember 2015 – C-333/14, NJW 2016, 621 – Scotch Whisky Association, mwN
  4. BGH, Urt. v. 24.11.2016 – I ZR 163/15, GRUR 2017, 635, – Freunde werben Freunde, Rn. 48f.
  5. I ZR 163/15, GRUR 2017, 635