Kein Notfallkoffer mit Arzneimitteln im Heim

Der Fall:

Ein Heim in Bayern möchte von der heimversorgenden Apotheke einen „Notfallkoffer“ gestellt bekommen. Ein solcher Koffer soll schon Praxis im Nachbarlandkreis sein. Der Notfallkoffer soll Medikamente enthalten, die bei einem Arztbesuch im Heim regelmäßig benötigt werden, wie zum Beispiel

  • Antibiotika in Tablettenform
  • Schmerzmittel, z.B. Ibuprofen 800
  • Asthmaspray, z.B. Berotec
  • andere zeitnah benötigte Arzneimittel

Der behandelnde Arzt soll in Zeiten außerhalb der Apothekenöffnungszeiten, also nachts, samstagnachmittags und sonntags, bei Bedarf die Möglichkeit haben, die Arzneimittel im Austausch gegen ein Rezept zu entnehmen und am Patienten Anzuwenden oder an den Patienten abzugeben.

Zur Begründung wird angeführt, dass diese Arzneimittel sonst bei der diensthabenden Notdienstapotheke, z.T. bis zu 10 km entfernt, vom Heim besorgt werden müssen. Ein solcher Koffer solle schon Praxis im Nachbarlandkreis sein.

Rechtliche Beurteilung

Die Führung eines „Notfallkoffers“ mit Arzneimitteln in stationären Pflegeinrichtungen, aus dem Arzneimittel an Ärzte und Patienten abgegeben werden ist unzulässig. Es handelt sich dabei um ein nicht erlaubtes Arzneimitteldepot, das gegen die Apothekenpflicht gem. § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) verstößt. Apothekenpflichtige Arzneimittel dürfen danach berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken in den Verkehr gebracht werden. Inverkehrbringen ist das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. (§ 4 Abs. 17 AMG) Im vorliegenden Fall würden die Arzneimittel vom Heim zur Abgabe an den Arzt (zwecks Anwendung am Patienten) oder an den Patienten vorrätig gehalten.

Die zentrale Aufbewahrung dieser Arzneimittel in dem „Notfallkoffer“ würde zudem gegen die Pflicht zur bewohnerbezogenen Aufbewahrung der für einzelne Patienten verordneten Arzneimittel verstoßen. Diese Pflicht ergibt sich für die Apotheke aus § 12a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Apothekengesetz (ApoG) und für die Heime in Bayern aus Art. 3 Abs. 2 Nr. 5 Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG)((Gesetz zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung vom 8. Juli 2008, GVBl S. 346, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes vom 22. Mai 2013, S. 308.)).

In Betracht kommen weitere Tatbestände, insbesondere Abrechnungsbetrug zulasten der Krankenkassen, da das für einen Versicherten verordnete Arzneimittel nicht an diesen abgegeben wird, sondern das Rezept von vornherein zum Wiederauffüllen des Arzneimittelvorrats dient.

Das Verbot des Anlegens eines Arzneimittelvorrats im Heim ergibt sich im Übrigen auch im Umkehrschluss aus der Ausnahmeregelung für den Notfallbedarf an Betäubungsmitteln in Hospizen und in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Nach § 5c Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV)((Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl. I S. 74, 80), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 5. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1999)) dürfen Hospize und Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung in ihren Räumlichkeiten einen Vorrat an Betäubungsmitteln für den unvorhersehbaren, dringenden und kurzfristigen Bedarf ihrer Patienten (Notfallvorrat) bereithalten. Dies ist nur diesen Einrichtungen und nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt.

Berechtigte Einrichtungen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind verpflichtet,

  1. einen oder mehrere Ärzte damit zu beauftragen, die Betäubungsmittel, die für den Notfallvorrat benötigt werden, nach den speziellen Regelungen der BtMVV zu verschreiben,
  2. die lückenlose Nachweisführung über die Aufnahme in den Notfallvorrat und die Entnahme aus dem Notfallvorrat durch interne Regelungen mit den Ärzten und Pflegekräften, die an der Versorgung von Patienten mit Betäubungsmitteln beteiligt sind, sicherzustellen und
  3. mit einer Apotheke die Belieferung für den Notfallvorrat sowie eine mindestens halbjährliche Überprüfung der Notfallvorräte insbesondere auf deren einwandfreie Beschaffenheit sowie ordnungsgemäße und sichere Aufbewahrung schriftlich zu vereinbaren. Der unterzeichnende Apotheker hat die Vereinbarung der zuständigen Landesbehörde vor der ersten Belieferung schriftlich anzuzeigen. Mit der Überprüfung der Betäubungsmittelvorräte ist ein Apotheker der jeweiligen Apotheke zu beauftragen. Es ist ein Protokoll anzufertigen. Zur Beseitigung festgestellter Mängel hat der mit der Überprüfung beauftragte Apotheker dem Träger oder Durchführenden der Einrichtung eine angemessene Frist zu setzen und im Falle der Nichteinhaltung die zuständige Landesbehörde zu unterrichten.
  4. Der oder die Ärzte nach Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BtMVV dürfen die für den Notfallvorrat benötigten Betäubungsmittel bis zur Menge des durchschnittlichen Zweiwochenbedarfs, mindestens jedoch die kleinste Packungseinheit, verschreiben. Die Vorratshaltung darf für jedes Betäubungsmittel den durchschnittlichen Monatsbedarf für Notfälle nicht überschreiten.

Diese Ausnahmeregelung wurde ausdrücklich mit dem Ziel erlassen, das ansonsten strikt einzuhaltende Verbot der Einrichtung von Notfalldepots mit Arzneimitteln außerhalb der Apotheke für diese speziellen Fälle aufzuheben. Der vom Heim gewünschte Notfallkoffer ist daher unzulässig.